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5.10.2025: Der Biber, der das Wasser vergaß

An einem breiten, friedlichen Fluss lebte ein junger Biber namens Benno. Benno war fleißig, klug und ein Meister im Bauen. Schon mit wenigen Ästen konnte er beeindruckende Dämme errichten, und alle Tiere am Ufer bewunderten seine Werke. Eines Tages hörte Benno, wie ein Reiher sagte: „Der Biber ist ein echter Architekt. Aber ob er auch weiß, warum er all das baut?“ Benno wurde nachdenklich. Er arbeitete viel. Er baute den ganzen Tag. Doch irgendwann fragte er sich: Wofür mache ich das eigentlich? Für wen? Und wann hatte er das letzte Mal einfach nur im Wasser geschwommen? Am nächsten Morgen beschloss Benno, einen Tag lang nichts zu bauen. Er legte die Äste beiseite, tappte ans Ufer, setzte sich auf einen flachen Stein – und schaute einfach nur aufs Wasser. Das Flussufer war still. Die Strömung glitzerte im Sonnenlicht. Eine Libelle landete auf seiner Nase, flog wieder fort. Benno spürte den Wind, hörte das Plätschern – und zum ersten Mal seit Langem war da kein Plan, keine Aufgabe, kein...

28.9.2025: Der kleine Igel und das verlorene Geräusch

Am Rand einer Wiese, gleich neben einem alten Apfelbaum, lebte ein kleiner Igel namens Ignaz. Ignaz war ein freundlicher Kerl, aber etwas schreckhaft. Jedes ungewohnte Geräusch ließ ihn zusammenzucken, und bei unbekannten Tönen rollte er sich sofort zu einer stacheligen Kugel. „Du musst keine Angst haben“, sagte die Amsel oft. „Nicht jedes Rascheln ist gefährlich.“ Aber Ignaz konnte nicht anders. Besonders nachts, wenn der Wind durch das Gras strich, hörte er so viele Dinge, die er nicht kannte: ein leises Knacken, ein fernes Flattern, ein dumpfer Ton aus dem Wald. Eines Abends, als der Himmel schon mit Sternen übersät war, hörte Ignaz ein neues Geräusch. Es war zart, fast wie ein Summen, das über die Wiese glitt. Er rollte sich sofort zusammen. Doch dann blieb er liegen und horchte. „Das klingt… gar nicht bedrohlich“, murmelte er. Neugierig lugte er aus seiner Kugel und folgte dem Geräusch. Er stapfte leise durchs hohe Gras, bis er auf eine Glühwürmchen-Familie traf, die tanzend durch...

21.9.2025: Die kleine Eule, die den Tag suchte

Weit hinten im dichten Wald, wo die Bäume so hoch wuchsen, dass sie fast den Himmel berührten, lebte eine kleine Eule namens Elli. Elli war klug und neugierig – wie es sich für eine junge Eule gehört. Doch sie hatte ein ungewöhnliches Problem: Sie mochte die Nacht nicht. „Es ist so dunkel“, seufzte sie eines Abends. „Und alle Tiere schlafen, wenn ich wach bin. Ich möchte den Tag sehen – die Sonne, die Blumen, die Schmetterlinge.“ „Aber wir Eulen leben in der Nacht“, sagte ihre Mutter sanft. „Das ist unsere Zeit.“ Doch Elli konnte ihre Sehnsucht nicht vergessen. Also beschloss sie, einmal bei Sonnenaufgang wach zu bleiben. Während alle anderen Eulen müde ihre Köpfe unter die Flügel steckten, saß Elli auf einem Ast und wartete. Langsam wurde der Himmel heller. Erst grau, dann rosa, dann golden. Die Sonne kletterte über die Baumwipfel, und mit ihr erwachte der Wald. Elli staunte. Sie sah Tautropfen glitzern, hörte die Vögel singen und beobachtete, wie ein Fuchs gähnend aus seinem Bau trat...

14.9.2025: Der Frosch, der nicht hüpfen wollte

Am Rand eines stillen Waldsees lebte ein junger Frosch namens Frederik. Während die anderen Frösche den ganzen Tag fröhlich durch die Gegend sprangen, saß Frederik lieber still am Ufer, betrachtete das Wasser und dachte nach. „Warum hüpfst du nicht mit uns?“ riefen die anderen. „Springen ist das Schönste, was es gibt!“ Frederik lächelte. „Ich mag es, wenn alles ganz ruhig ist. Ich höre das Rascheln der Blätter und das Glucksen der Wellen.“ Doch die anderen lachten. „Ein Frosch, der nicht hüpft, ist wie ein Vogel, der nicht fliegt!“ Frederik fühlte sich unsicher. Vielleicht hatten sie recht. Vielleicht war er wirklich anders. In dieser Nacht konnte er nicht schlafen. Der Mond spiegelte sich im See, und die Wasseroberfläche war glatt wie Glas. Da setzte sich eine alte Kröte neben ihn. Sie hatte viele Falten und Augen, die schon vieles gesehen hatten. „Du wirkst traurig“, sagte sie. „Alle sagen, ich müsse springen. Aber ich fühle mich wohl, wenn ich einfach nur schaue und zuhöre.“ Die Krö...

7.9.2025: Die Ameise und der Schneeflockentanz

Tief im Waldboden lebte eine kleine Ameise namens Alma. Sie war fleißig, ordentlich und voller Tatendrang. Tag für Tag trug sie Krümel in den Bau, putzte die Tunnel und half den anderen Ameisen beim Bauen, Tragen, Sortieren. „Keine Zeit für Träumereien“, sagten die großen Ameisen. „Arbeiten ist wichtiger als alles andere.“ Alma nickte stets brav – aber manchmal, wenn niemand hinsah, blieb sie stehen. Dann lauschte sie dem Wind, betrachtete die Schatten der Blätter und fragte sich, was wohl außerhalb des Ameisenhügels geschah. Eines Tages wurde es still im Wald. Die Luft roch anders, kälter. Der Himmel war grau, und Alma spürte, dass etwas im Anmarsch war. Da fiel die erste Schneeflocke. Sie landete direkt auf Almas Fühlern – so sanft, dass es kitzelte. Alma blickte nach oben und sah, wie der Himmel plötzlich lebendig wurde: Hunderte, Tausende von Schneeflocken tanzten durch die Luft, jede anders, jede für sich wunderschön. „Ich muss zurück“, sagte Alma, doch ihre Füße wollten nicht. Si...

31.8.2025: Die Schildkröte und der Stern

Es war einmal eine kleine Schildkröte namens Selma. Selma lebte an einem ruhigen See, zwischen Seerosen und Grashalmen, und war für ihr Alter ungewöhnlich nachdenklich. Jeden Abend, wenn der Himmel dunkel wurde, blickte sie zu den Sternen. Besonders ein Stern hatte es ihr angetan – er funkelte heller als alle anderen und stand immer genau über dem alten Birkenbaum. „Wenn ich nur ein einziges Mal dort oben sein könnte“, seufzte Selma leise. „Nur einmal die Welt von oben sehen.“ Der Fisch lachte, als sie ihm davon erzählte. „Du bist eine Schildkröte“, sagte er. „Du kriechst, du schwimmst – aber du fliegst nicht.“ Auch der Reiher schüttelte nur den Kopf. „Man muss wissen, was möglich ist“, meinte er. „Träume sind schön – aber bleib lieber am Boden.“ Selma schwieg. Doch sie hörte nicht auf zu träumen. Jeden Abend kroch sie ein Stück weiter. Erst zum Baum, dann den Hang hinauf, über Wurzeln und Steine. Immer langsam, immer stetig. Sie wusste: Sie würde den Stern nie berühren. Aber sie wollt...

24.8.2025: Der kleine Regenwurm und der Regenbogen

Im weichen Waldboden lebte ein kleiner Regenwurm namens Rudi. Rudi war zufrieden in der Erde. Er grub seine Gänge, belüftete den Boden und freute sich über jeden Regentropfen, der durch das Laub fiel. Doch manchmal hörte er die anderen Tiere reden. Vom Himmel. Vom Licht. Vom Regenbogen. „Was ist ein Regenbogen?“ fragte Rudi eines Tages den Marienkäfer. „Etwas Wunderschönes“, antwortete der. „Er kommt nach dem Regen, wenn die Sonne wieder scheint. Ganz oben am Himmel.“ Rudi seufzte. „Dann werde ich ihn wohl nie sehen. Ich lebe unter der Erde.“ Am nächsten Morgen, nach einem langen Sommerregen, spürte Rudi, dass die Erde besonders weich war. Neugierig kroch er bis ganz nach oben, da, wo das Moos den Waldboden bedeckte. Und da war es. Ein leuchtender Bogen spannte sich über die Bäume. Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett – Farben, wie Rudi sie noch nie gesehen hatte. Er blinzelte, so hell war das Licht, aber sein Herz machte einen kleinen Hüpfer. „So sieht also ein Regenbogen aus“, flüs...