Meine Fabeln - Gute-Nacht-Geschichten für Kinder

Es war einmal eine kleine Schildkröte namens Selma. Selma lebte an einem ruhigen See, zwischen Seerosen und Grashalmen, und war für ihr Alter ungewöhnlich nachdenklich. Jeden Abend, wenn der Himmel dunkel wurde, blickte sie zu den Sternen. Besonders ein Stern hatte es ihr angetan – er funkelte heller als alle anderen und stand immer genau über dem alten Birkenbaum. „Wenn ich nur ein einziges Mal dort oben sein könnte“, seufzte Selma leise. „Nur einmal die Welt von oben sehen.“ Der Fisch lachte, als sie ihm davon erzählte. „Du bist eine Schildkröte“, sagte er. „Du kriechst, du schwimmst – aber du fliegst nicht.“ Auch der Reiher schüttelte nur den Kopf. „Man muss wissen, was möglich ist“, meinte er. „Träume sind schön – aber bleib lieber am Boden.“ Selma schwieg. Doch sie hörte nicht auf zu träumen. Jeden Abend kroch sie ein Stück weiter. Erst zum Baum, dann den Hang hinauf, über Wurzeln und Steine. Immer langsam, immer stetig. Sie wusste: Sie würde den Stern nie berühren. Aber sie wollt...

Im weichen Waldboden lebte ein kleiner Regenwurm namens Rudi. Rudi war zufrieden in der Erde. Er grub seine Gänge, belüftete den Boden und freute sich über jeden Regentropfen, der durch das Laub fiel. Doch manchmal hörte er die anderen Tiere reden. Vom Himmel. Vom Licht. Vom Regenbogen. „Was ist ein Regenbogen?“ fragte Rudi eines Tages den Marienkäfer. „Etwas Wunderschönes“, antwortete der. „Er kommt nach dem Regen, wenn die Sonne wieder scheint. Ganz oben am Himmel.“ Rudi seufzte. „Dann werde ich ihn wohl nie sehen. Ich lebe unter der Erde.“ Am nächsten Morgen, nach einem langen Sommerregen, spürte Rudi, dass die Erde besonders weich war. Neugierig kroch er bis ganz nach oben, da, wo das Moos den Waldboden bedeckte. Und da war es. Ein leuchtender Bogen spannte sich über die Bäume. Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett – Farben, wie Rudi sie noch nie gesehen hatte. Er blinzelte, so hell war das Licht, aber sein Herz machte einen kleinen Hüpfer. „So sieht also ein Regenbogen aus“, flüs...

Tief unter der Erde, in einem weichen, warmen Tunnel, lebte ein kleiner Maulwurf namens Max. Max war zufrieden mit seinem Leben im Dunkeln. Er buddelte gern, schob Erde mit seiner Nase vor sich her und baute sich gemütliche Gänge, in denen er sich wohlfühlte. Doch eines Tages hörte er über sich ein seltsames Geräusch. Stimmen, Vogelrufe, Rascheln im Wind. Neugierig grub Max einen schmalen Gang nach oben. Und plötzlich – zum ersten Mal in seinem Leben – sah er Licht. Es war hell. So hell, dass er sofort blinzelte und sich die Pfoten über die Augen hielt. „Ist das die Sonne?“ fragte er leise. „Sie ist viel größer, als ich dachte.“ Ein Schmetterling flatterte an ihm vorbei. „Das ist der Tag“, sagte er freundlich. „Willkommen oben, kleiner Maulwurf.“ Max wagte ein paar Schritte ins Gras. Alles war neu. Farben, Geräusche, Gerüche. Er sah Blumen, Vögel, einen Bach, der leise plätscherte. Es war wunderschön – und auch ein bisschen unheimlich. „Was, wenn ich mich verlaufe?“ flüsterte Max. „Ode...

Im tiefen Wald, weit hinter den Hügeln, lebte ein kleiner Wolf namens Lupo. Er war jung, neugierig und voller Fragen. Aber es gab eine Sache, die ihn besonders beschäftigte: Er konnte nicht heulen. „Eines Tages wirst du mit dem Rudel singen“, sagte seine Mutter oft. „Der Mond wird über dir stehen, und deine Stimme wird weit durch den Wald klingen.“ Doch Lupo hatte es schon oft versucht. Laut, leise, hoch, tief – aber es klang immer eher wie ein Frosch mit Husten. Die anderen Jungwölfe kicherten heimlich, und Lupo wurde still. Eines Abends, als alle schliefen, schlich er sich aus dem Bau und setzte sich allein auf einen Felsen. Der Mond stand rund und hell am Himmel, wie eine große, freundliche Laterne. „Warum kann ich nicht singen?“ flüsterte Lupo. „Ich höre die Sterne flüstern und den Wind summen, aber in mir klingt nur Unsicherheit.“ Da hörte er eine leise Stimme neben sich. „Du hörst schon mehr als viele andere“, sagte eine alte Eule, die auf einem Ast über ihm saß. „Aber ich kann e...

Hoch oben in einer alten Buche lebte eine kleine Eule namens Elli. Elli war neugierig und klug, wie Eulen eben sind, doch sie hatte ein Problem: Sie konnte einfach nicht einschlafen. Während ihre Geschwister schon friedlich schlummerten und sogar der alte Kauz schnarchte, drehte sich Elli von einer Seite auf die andere. „Was ist, wenn ich morgen etwas verpasse?“ flüsterte sie. „Was ist, wenn ein Stern fällt und ich ihn nicht sehe?“ Sie flatterte aus dem Nest und flog leise durch die Nacht. Am Waldrand saß der Dachs und putzte sich die Pfoten. „Warum schläfst du nicht?“ fragte er. „Ich habe Angst, etwas zu verpassen“, gab Elli zu. Der Dachs lächelte. „Ich verpasse jeden Sonnenaufgang. Und trotzdem ist jeder neue Tag wunderbar.“ Elli nickte, aber ihr Herz war noch unruhig. Weiter flog sie zur Wiese, wo der Fuchs gerade gähnte. „Warum bist du noch wach?“ fragte der Fuchs. „Weil ich alles sehen will“, sagte Elli. „Die Sterne, den Wind, das Rascheln im Gras.“ Der Fuchs schloss die Augen. „A...