10.8.2025: Der kleine Wolf, der lernen wollte zu singen
Im tiefen Wald, weit hinter den Hügeln, lebte ein kleiner Wolf namens Lupo. Er war jung, neugierig und voller Fragen. Aber es gab eine Sache, die ihn besonders beschäftigte: Er konnte nicht heulen.
„Eines Tages wirst du mit dem Rudel singen“, sagte seine Mutter oft. „Der Mond wird über dir stehen, und deine Stimme wird weit durch den Wald klingen.“
Doch Lupo hatte es schon oft versucht. Laut, leise, hoch, tief – aber es klang immer eher wie ein Frosch mit Husten.
Die anderen Jungwölfe kicherten heimlich, und Lupo wurde still. Eines Abends, als alle schliefen, schlich er sich aus dem Bau und setzte sich allein auf einen Felsen.
Der Mond stand rund und hell am Himmel, wie eine große, freundliche Laterne.
„Warum kann ich nicht singen?“ flüsterte Lupo. „Ich höre die Sterne flüstern und den Wind summen, aber in mir klingt nur Unsicherheit.“
Da hörte er eine leise Stimme neben sich.
„Du hörst schon mehr als viele andere“, sagte eine alte Eule, die auf einem Ast über ihm saß.
„Aber ich kann es nicht“, sagte Lupo.
„Noch nicht“, erwiderte die Eule. „Alles hat seine Zeit. Der Regen eilt nicht. Die Bäume wachsen nicht in einem Tag. Auch die Stimme braucht Geduld.“
Lupo sah in den Himmel. Die Sterne funkelten, als würden sie ihn anlächeln.
„Wie finde ich meine Stimme?“ fragte er.
Die Eule breitete langsam ihre Flügel aus. „Indem du aufhörst, wie andere klingen zu wollen. Und anfängst, dich selbst zu hören.“
Lupo nickte leise.
In dieser Nacht sang er nicht. Er lauschte. Dem Rascheln der Blätter. Dem fernen Bach. Seinem eigenen Atem.
Und im Traum, ganz sanft, sang er zum ersten Mal – nicht laut, nicht perfekt, aber ehrlich. Und das war der Anfang von allem.
Gute Nacht.
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